Anadolu-Wuppertal e.V.

Interview mit Erol Çelik für das "Bildungsportal NRW"

Viele Eltern mit Zuwanderungsgeschichte beobachten den Schulbetrieb eher aus der Distanz. Warum leisten ausgerechnet Sie Elternarbeit?
Çelik: Mit 15 Jahren bin ich nach Deutschland gekommen und erfuhr, wie schwierig es ist, in einem fremden Land zu leben. Seit der Zeit als ich meine Kinder zum Kindergarten gebracht habe, arbeite ich als Elternvertreter, also seit den 1990er Jahren. Die Elternarbeit war zu Beginn etwas völlig Fremdes für mich. Ich musste mühsam lernen, wie alles funktioniert. In der Grundschule wurde ich in Gesprächen mit Lehrern immer wieder darauf hingewiesen, welchen hohen Stellenwert Elternarbeit im deutschen Schulsystem hat. Ich habe mich persönlich engagiert, weil es mir darum ging, dass meine Kinder Erfolg im deutschen Bildungssystem haben. Heute stelle ich fest: Alle meine Kinder haben von dieser Arbeit profitiert.
 
Sie sind leitendes Mitglied des Elternnetzwerks NRW, eines landesweiten Zusammenschlusses von Eltern mit Zuwanderungsgeschichte, das sich für bessere Bildungschancen von Kindern mit Zuwanderungshintergrund einsetzt. Was hat die Vernetzung denn bisher gebracht?
Çelik: Es hat vieles gebracht. Wir haben Kontakt mit Migranten, die aus allen Ländern der Welt hierher gekommen sind. So arbeiten wir etwa mit Migranten afrikanischer, griechischer, italienischer, russischer, spanischer und türkischer Herkunft zusammen. Bei der Arbeit des Elternetzwerks NRW kommen uns die Erfahrungen zu Gute, die wir im Vorfeld mit türkischen Elternvereinen gemacht haben, die wir schon seit Jahren mit Ideen, Rat und Tat unterstützen. Unsere Eltern wollen sich einsetzen und so viele Informationen wie möglich bekommen. Oberstes Ziel von Migranten ist bessere Bildung und sehr viele Organisationen möchten mitreden, mitwirken.
Welche Berührungsängste haben Sie bei zugewanderten Familien erlebt, wenn es um Kontakte mit Einheimischen und Lehrern geht?
Çelik: Uns wird berichtet, dass vor allem Mütter mit Zuwanderungsgeschichte sprachliche Probleme haben. Weil sie die Sprache nicht verstehen, sind sie bei Elternabenden einsam und zurückhaltend. Außerdem haben viele Eltern Scheu, etwas Falsches zu sagen. Sie wissen nicht, wie sie reagieren sollen. Werden sie in eine Elternvertretung gewählt, haben sie keine Ahnung, was sie tun sollen. Auch aus diesen Gründen ist die Teilnahme an Elternabenden häufig gering.Welche Erwartungen stellen Eltern islamischer Konfession an Schulen?Çelik: Unter den Muslimen gibt es liberale und religiöse Gruppen. Für liberale Gruppen ist es beispielsweise kein Problem, wenn ihre Töchter am Sport- und Schwimmunterricht teilnehmen oder wie ihre deutschen Mitschüler in Sexualkunde unterwiesen werden. Mittlerweile sprechen viele Familien offen über diese Fragen. Es gibt aber auch Familien, die diesen Dingen immer noch aus dem Weg gehen und Ausflüchte suchen. Viele muslimische Eltern hegen den Wunsch, dass in den Schulen Islamkunde durch ausgebildete Religionslehrerinnen und Religionslehrer und auch durch anerkannte Islamwissenschaftlerinnen und Islamwissenschaftler stattfindet. In manchen Städten, wo das bereits läuft, wird dies auch sehr gut angenommen. Anderseits ist es sehr wichtig, dass Imame durchweg gute Deutschkenntnisse haben, damit sie mit der hiesigen Gesellschaft in Dialog treten können. Da tut sich etwas. Imame aus der Türkei, ohne Deutschkenntnisse müssen Deutschkurse besuchen, bevor sie nach Deutschland einreisen.
 
Wie müsste man denn Eltern mit Zuwanderungsgeschichte ansprechen, um ihr Interesse für Elternarbeit zu wecken?
Çelik: Viele Eltern mit Zuwanderungsgeschichte möchten sich unheimlich stark für ihre Kinder einsetzen. Sie wünschen sich, dass ihre Kinder gut in der Schule sind, einen Ausbildungsplatz bekommen und im Beruf erfolgreich sind. Da geht es ihnen so wie mir. Je mehr Informationen diese Eltern bekommen, umso mehr setzen sie sich auch ein. Viele Eltern kommen aus Ländern, in denen Elternarbeit, wie sie Deutschland üblich ist, völlig unbekannt ist. Man muss die Eltern deshalb in ihrer Herkunftssprache anschreiben. Viele Zuwanderer führen keinen Terminkalender, wie es bei deutschen Familien die Regel ist. Dann gehen viele Termine bei Migrantenfamilien einfach unter. Man müsste sie am besten persönlich ansprechen. Deshalb empfehlen wir, Migrantenfamilien ein bis zwei Tage vorher anzurufen, wenn ein Elterngespräch ansteht. Das ist zwar aufwendig, aber es lohnt sich.
Kann man Migrantenfamilien denn nicht auch über E-Mail erreichen, das wäre zeitsparender?
Çelik: Viele zugewanderte Familien besitzen zwar einen Computer. Doch die Kommunikation über E-Mail ist bei ihnen noch nicht rege verbreitet. Ich denke, dass in Zukunft aber mehr und mehr Migranten auch über das Internet und den E-Mail-Kontakt zu erreichen sind.
 
Was müssen Lehrerinnen und Lehrer tun, um das Vertrauen von ausländischen Elternvertretungen zu erwerben?
Çelik: Zuallererst müssten Lehrkräfte ein höheres interkulturelles Verständnis an den Tag legen. In Ballungsgebieten NRWs haben wir in manchen Stadtteilen deutscher Metropolen bereits einen Migrantenanteil von 40 bis 50 Prozent. Viele Kinder mit Zuwanderungsgeschichte sind hier geboren. Diese Kinder werden die Zukunft Deutschlands mitgestalten. Lehrerinnen und Lehrer müssen heute wissen, wie Migrantenfamilien leben, ihre spezifische Kultur kennen und einen Blick für die Besonderheiten der jeweiligen Migrantengruppen haben. Wenn beispielsweise die Fastenzeit für Muslime beginnt, sollten sie darauf vorbereitet sein, dass manche Kinder und Jugendliche Konzentrationsprobleme im Unterricht haben und darauf mit Fingerspitzengefühl reagieren.
Welche Tipps können sie für eine gelingende Elternarbeit mitgeben?
Çelik: Es wäre sehr wichtig, dass in jeder Klassenpflegschaft einer Schule, die in einem Ballungszentrum liegt, zumindest der Stellvertreter einen Zuwanderungshintergrund hätte - vom Kindergarten, über die Grundschule bis zur Sekundarstufe. Wir vom Elternetzwerk NRW sind stets bereit, Informationen und Hilfestellungen für diese Arbeit zu leisten. Wir regen alle Migranten an: Geht von selbst auf die Klassenlehrer und Schulleiter zu und wartet nicht, bis ihr gefragt werdet!
Zur Person: Erol Çelik, 42 Jahre, ist Industriemeister und Vorsitzender von Anadolu Wuppertal e.V., einem Kulturzentrum, dessen tragende Säule die Bildungsarbeit ist. Çelik ist im Vorstand von Föderation türkischer Elternvereine in NRW e.V. und gehört auch dem Leitungsgremium des Elternnetzwerks NRW an, dem sich fast 190 Vereine und Institutionen aus ganz Nordrhein-Westfalen angeschlossen haben. Die Landesregierung NRW hat das Netzwerk 2006 ins Leben gerufen, um die Brückenfunktion der Migranten-Selbstorganisationen zu verstärken. Das Elternnetzwerk NRW berät zugewanderte Familien in Bildungsfragen und bietet Seminare, Fortbildungen und Tagungen zu interkulturellen Themen an. Außerdem unterstützt das Netzwerk andere Elternvereine konzeptionell und gibt Impulse für die Öffentlichkeitsarbeit.
Das Gespräch führte Arnd Zickgraf.
Quelle: www.schulministerium.nrw.de